Wir bekommen pro Charakter eine kurze, grobe Übersicht darüber, was seine Motivation ist und wählen einen aus - mit diesem starten wir. Im Laufe unseres Abenteuers werden wir dann auf die übrigen 7 Charaktere stoßen und, wenn wir es wünschen, mit ihnen reisen und, auch das steht uns frei, tiefer in ihre Backgrounds eindringen, ihre Abenteuer absolvieren und erfahren, woher sie kommen, was sie antreibt. Wir können also entscheiden, ob diese Charaktere lediglich unsere Sidekicks sind, oder ob wir uns auch durch ihre Kapitel kämpfen und ihren persönlichen Stories von Anfang bis Ende folgen. In welcher Reihenfolge wir auf welchen Charakter stoßen und in welcher Order wir ihre Abenteuer absolvieren, oder wir mal hier ein Kapitel und mal dort ein Kapitel weiterspielen, entscheiden wir stets selbst.
Die 8 Charaktere sind allesamt neu und wieder sehr unterschiedlich. Da gibt es jene, die Rache verüben, ihre Heimat verteidigen oder persönliche Freiheit erlangen wollen, und so weiter. Einige Stories sind eher leichte Kost, andere sind recht düster und vergleichsweise hart - für einen USK-12-Titel, versteht sich.
Neben den Charakteren, ist auch die Welt, in welcher sie ihre Abenteuer erleben, vollkommen neu. Sie ist gespickt mit Pfaden, Dörfern, Städten und jeder Menge Geheimnissen. Diese zu finden, ist nicht zwingend notwendig, aber es ist jedes Mal toll, wenn man seine Augen offenhielt, eine gut getarnte Weggabelung entdeckte und plötzlich in einer riesigen Höhle steht. Was mag hier wohl zu finden sein? Und welcher Boss verteidigt dieses Fleckchen Erde? Manchmal findet man auch einen solchen Ort, aber an dessen Wegesende wird kein Ergeinis getriggert. Das heißt dann in aller Regel, dass man gerade nicht mit dem dafür notwendig Charakter in der Party reist, oder dass er in seinem Abenteuer noch nicht weit genug fortgeschritten ist.
Jedes dieser 8 Abenteuer ist in mehrere Kapitel unterteilt und handelt, zumeist durch diverse NPCs, welche in Verbindung zum jeweiligen Charakter stehen, dessen Werdegang ab. Es gibt aber jetzt auch Abenteuerzweige, die absolviert werden können, wenn die zutreffenden Charaktere gerade gemeinsam in der Party reisen, weil deren Interessen oder, sozusagen, ihre Schicksale sich überschneiden.
Unsere 8er-Crew kann immer nur zu maximal viert unterwegs sein. Egal, wie groß unsere Party gerade ist, die übrigen verbleiben gewissermaßen rastend und treten erst in Erscheinung, wenn wir in einem der vielen Gasthöfe beschließen, die Party zu verändern. Die jeweils aktive Party sammelt dann Erfahrungspunkte, levelt auf, wird stärker - die anderen nicht. Mit Ausnahme des zu Beginn festgelegten Mains können wir die übrigen 7 jederzeit beliebig aktiv oder inaktiv setzen.
Die Erfahrungspunkte, die gesammelt werden, dienen natürlich dazu, die Charaktere mächtiger werden zu lassen. Dasselbe gilt für die Ausrüstung. Es gibt eine Vielzahl von Rüstungen, Helmen, Schwertern, Lanzen, Zauberstäben, Dolchen und und und... Dabei ist zu beachten, dass ein Charakter zwar jedwede Rüstungsform tragen kann, aber nicht jede Waffe. Denn diese sind gekoppelt an die Klassen. Throné zum Beispiel kann eigentlich nur mit Dolch und Schwert umgehen. Und Throné, als Diebin, hat andere Fähigkeiten, als zum Beispiel Osvald, der Gelehrter ist.
Allerdings gibt es die Möglichkeit, Fähigkeiten von anderen Charakterklassen zu lernen. Jeder Charakter kann bis zu zwei Klassen gleichzeitig vereinen. Throné kann also beispielweise gleichzeitig Diebin und Klerikin sein und auf die Waffenfertigkeiten und Fähigkeiten beider Klassen zugreifen. Normalerweise kann eine Klasse dabei immer nur einmal als Zweitklasse an einen der Charaktere vergeben werden, es gibt aber ein System, mit dem eine Klasse bis zu dreimalig anderen Charakteren angediehen werden dürfen. Dieses Privileg muss sich jedoch erst verdient werden. Mal muss man dafür bestimmte Aufgaben erledigt haben, mal sehr, sehr viel Geld investieren, mal ein ganz bestimmtes Item im Besitz haben.
Durch das Erlernen von Zweitklassen erhöht sich also nicht nur der Pool an Fähigkeiten, sondern auch der Pool an möglichen Waffen. Soll Throné neben Dolch und Schwert auch mit Axt oder Pfeil und Bogen hantieren können, muss sie dafür eine Zweitklasse inne haben, der diese Waffen zufallen.
All diese Fähigkeiten, Waffen und Level-ups werden natürlich für die Kämpfe benötigt. Gekämpft wird erneut rundenbasiert. Und erneut pfeffern wir nicht einfach blind mit aller Macht immer feste drauf. Stattdessen ist das Break-System wieder vorhanden. Jeder Gegner hat Schwächen. In der Regel 3 bis 5. Bevor wir einem Gegner richtig Schaden zufügen können, muss er gebrochen werden, damit er tatsächlich verletzbar wird. Ein Gegner, der keine Schwäche gegen Speere hat, kann mit einem Speer also nicht nennenswert verletzt werden. Doch greift man bei zum Beispiel einer Schwert-Schwäche mit einem Schwert an, geht der Break-Counter bei jedem Treffer um eins runter. Ist der Counter auf 0 gefallen, ist der Gegner in der aktuellen und der folgenden Runde völlig wehrlos unseren Angriffen ausgeliefert. Ganz gleich, ob ein Angriff in dieser Phase einer Schwäche zugehörig ist, oder nicht. Gelingt es jetzt, diesen Gegner zu besiegen, gut. Wenn nicht, beginnt das Break-Schwäche-Angriffsspielchen dann wieder von neuem.
Für noch mehr Handlungsspielraum gibt es die sogenannten BP. Mit bis zu drei BP kann man so seine Angriffe boosten (BP = Boost Point) und je nach Situation entweder mehrfach pro Runde attackieren, oder die gewünschte Aktion signifikant verstärken. Das gilt sowohl für Angriffe, als auch für Statuswertveränderungen oder die Heilung. Um sich in einer Runde einen BP zu verdienen, genügt es in der aktuellen Runde, eine Aktion auszuführen, ohne diese zu boosten.
Neu hingekommen sind die Latenten Fähigkeiten. Eine Anzeige, die sich im Verlauf von Kämpfen füllt. Ist sie voll, kann sie einmalig eingesetzt und muss danach wieder aufgefüllt werden. Latente Fähigkeiten setzen zusätzliche Kräfte frei und unterscheiden sich je nach Charkater. Sie verstärken Aktionen, lassen einen Charakter zweimal in derselben Runde handeln, manchen ganz besonders vernichtende Angriffe möglich und so weiter.
Mit all dieser Varianz, seinen Mechanismen und Geheimnissen bietet Octopath Traveler II eine unglaubliche Abwechslung, wie man sich den Spielverlauf gestalten kann. Und selbst, wenn man alle 8 Charaktere durchgespielt hat, gibt es noch viele Nebenquests abzuhaken, Höhlen zu entdecken, alle Klassen freizuschalten und und und... Sogar der Schwierigkeitsgrad lässt sich auf diese Weise anpassen. Beispielsweise reist man immer nur allein oder in einer 2er- oder 3er-Party, oder man lernt keine Zweitklasse, wenn man es sich schwerer machen möchte.
TECHNIKGrafisch geht auch Octopath Traveler II wieder auf die retro-esque Schiene. Diese Mischung aus Pseudo-3D und echtem 3D, sowie 16-Bit- und HD-Look-and-Feel, überzeugt erneut auf ganzer Linie. Sogar noch etwas mehr als im ersten
Octopath Traveler. Die Grafiken sind noch detaillierter, die Gebäude in den Städten noch hübscher und die Licht- und Schatteneffekte sind schlicht und einfach großartig. Wenn in der Kathedrale das Sonnenlicht durch die bunten Gläser fällt, sowas von stimmungsvoll. Selbst so eher simple Dinge wie die Wechsel zwischen Tag und Nacht vollziehen sich naht- und reibungslos und doch bemerkt man, wie Licht und Schatten sich nach und nach verändern, die Umgebung dabei immer heller oder immer dunkler erscheint.
Beim Sound gilt dasselbe. Die Soundeffekte sind auf den Punkt. Die Musiken abwechslungsreich und hochwertig produziert. Kein einziger Track ist auch nur Mittelmaß. Und doch, auch aus diesem Pool an großartigen Songs, stechen immer noch einzelne besonders hervor. Beispielsweise einer der Bosskampf-Songs aus Ochettes finalen Kapiteln, war packend und hat den Kampf zusätzlich intensiviert.
Auch ein großes Lob an alle Verantwortlichen für die Voicesamples (Dialogschreiber/innen, Sprecher/innen, Techniker/innen und Regie). So gut wie alle Monologe und Dialoge sind hervorragend eingesprochen worden (Ausnahmen sind vor allem die für die Hauptstories nicht wichtigen und akustisch stummen NPCs, die in den Dörfern und Städten herumlaufen und -stehen). Zwar muss man Englisch können, um die Dialoge zu verstehen, aber durch die Sprechblasen im Bild kann man im Zweifel jederzeit problemlos folgen.
Die Geschichten, die unsere 8 Charaktere erleben, sind ebenfalls zu nennen. Weit weg vom üblichen "Rette die Welt"- und "Befreie die Prinzessin"-Einheitsbreit. Alle 8 Charaktere durchwandern Abenteuer, immer angetrieben von ihren persönlichen Motivationen, die nicht selten die eine oder andere Wendung oder Überraschung parat halten. Und es gibt durchaus auch Momente, in denen unsere Helden und Heldinnen nicht einfach nur eindimensional gut oder altruistisch fühlen und handeln.
FAZITOctopath Traveler II steht seinem Vorgänger,
Octopath Traveler, in nichts nach. Im Gegenteil; es hält sich an das, was in diesem etabliert wurde und legt überall - und zwar wirklich überall! - noch mehrere Schippen drauf. Ob für die Switch oder eine andere Plattform, wer RPGs à la Final Fantasy, Secret of Mana und Co. liebt, kommt an Octopath Traveler II einfach nicht vorbei.
Eine Nettospielzeit von 50-60 Stunden, wenn man "nur" einigermaßen zügig die Hauptstories absolviert, bekommt man mindestens kredenzt. Wenn man wirklich alle Secrets lüften und alle Nebenquests erledigen will, darf man aber nochmal mindestens 20-30 Stunden obendrauf rechnen.