PARALLELENMighty No. 9 ist sowas wie der spirituelle Nachfolger der Mega-Man-Spiele. So wird es jedenfalls allgemeinhin immer gesagt. Und in der Tat hat Mighty No. 9 eine ganze Menge mit dem Blue Bomber gemeinsam. Angefangen beim Intro bis hin zum Gameplay. So kommt es, dass 8 Roboter plötzlich durchdrehen und alles ins Chaos stürzen. Die Seriennummern dieser Roboter lauten Might No. 1, Might No. 2, Might No. 3... ...bis hin zu Might No. 8. Trotzdem haben sie auch Codenamen, wie Pyrogen, Battalion oder Countershade. Alle 8 Roboter haben dabei ihnen eigene Themen, wie Feuer, Eis, Militär.
In der Gestalt von Beck, dessen Seriennummer Might No. 9 lautet, müssen wir nun die anderen 8 Mighty Robots besiegen, und sie damit sozusagen wieder zur Vernunft bringen. Also durchqueren wir, nachdem wir einen Tutorial-Level absolviert haben, in beliebiger Reihenfolge jeden der 8 Bot-Level, an dessen Ende einer der Mighty Robots wartet. Ist dieser besiegt, erhalten wir seine Waffe, die somit zu unserer neuen Spezialfähigkeit wird. Wir können dann im Laufe der Zeit Elektroschocks von uns geben, mit dem Schwert um uns herumwirbeln, Bomben platzieren und sie dann (auf Buttondruck) zur Detonation bringen und so weiter und so fort, was uns einige Gegner schneller besiegen lässt, wenn wir wissen, gegen was sie besonders anfällig sind. Und haben wir irgendwann alle Mighty Robots erledigt, folgen natürlich noch ein paar End-Boss-Stages.
Wie man liest, handelt es sich tatsächlich um ein neues Mega Man, in so gut wie allen Belangen. Trotzdem würde ich persönlich die Parallelen eher zu Mega Man X ziehen, denn vor allem visuell sind die Gemeinsamkeiten weit größer. Nicht zu vergessen, dass der Dashing Move aus Mega Man X in Mighty No. 9 nicht nur zur schnelleren Fortbewegung genutzt wird oder werden kann, nein, hier ist es beinahe das zentrale Gameplay-Element. Denn wenn Beck genug Treffer an einem Gegner landete, werden diese benommen und er muss in sie hineindashen, um sie fertig zu machen. Im Grunde könnte Beck auch noch einfach weiter auf die Gegner ballern, während sie benommen sind, und sie auch auf diese Weise umnieten, aber dafür gibt es dann keine Boni für uns.
DASHENZum Einen schlagen diese Boni sich in Punkten nieder, die am Ende dann unseren Highscore für die aktuelle Stage verbessern, zum Anderen aber erhalten wir temporäre Verbesserungen, wie beispielsweise, dass Becks Angriffe mehr Schaden anrichten, oder er wendiger ist oder sowas. Da diese Effekte relativ rasch wieder nachlassen, sollte Beck fleißig weiter in zuvor benommen gemachte Gegner dashen, denn das füllt den Effekt-Timer wieder ein wenig auf. Ferner gibt es sogar die Möglichkeit, dass er sich bis zu zweimal seine Lebensenergie komplett wieder aufladen kann - WENN er fleißig in benommene Gegner dashte.
Bei den Endgegnern ist das alles sehr ähnlich. Nur, dass hier das Dashing-Schema leicht abgewandelt wird. Zuerst muss man immer mehrere Treffer landen, dann beginnt der Gegner zu blinken, jetzt muss gedasht werden, und ihm wird der zuvor angerichtete Schaden abgezogen, das ist in der Regel etwa ein Fünftel seiner Lebensenergie. Jetzt wieder Schaden zufügen, beim Blinken hineindashen und so weiter, bis der Gegner letzten Endes besiegt ist. Von Vorteil ist dabei, dass der Gegner sich während des Blinkens normal weiterbewegt, aber wenn man den richtigen Moment abwartet, man seine aktuelle Attacke damit beendet und er sich neu positioniert.
Im Großen und Ganzen gefällt mir die Idee mit der Dashmechanik und den damit verbundenen Effekten. Dennoch versteift sich das Gameplay etwas zu sehr darauf, da man die meiste Zeit eigentlich nur noch ballert, dasht, ballert, dasht, wodurch der Spielfluss hin und wieder etwas arg hektisch wird, denn man feuert und dasht wirklich ohne Unterlass, selbst mitten im Sprung oder beim Navigieren durch gefährliche One-Hit-Death-Stacheln-überall-Passagen, was nicht selten zum virtuellen Ableben führt.
SCHWIERIGKEITSGRADUnd der Schwierigkeitsgrad pendelt stets zwischen oberes Mittemaß und Verdammter-Mist-nochmal-wollen-die-mich-eigentlich-ver__schen? Es gibt Stellen in mehreren Leveln, wo es Projektile hagelt, als gäbe es kein Morgen mehr, und nebenbei bröckeln Plattformen weg, stürzen Bauten aus dem Hintergrund nach vorne, krabbeln und fliegen Gegner um einen herum. Und wenn man hier also auch noch fleißig am Rumballern und Dashen ist, geht da auch gern mal was schief.
Doch gibt es auch mehr als genug Momente, bei denen man völlig unvorbereitet in sein Verderben läuft, dasht, springt oder fällt. Nicht selten passiert es, dass man zwar sieht, dass man hier nun herabfallen muss, aber man sieht nicht, wohin - und ZACK ist man tot, weil da Stacheln sind. Oder man kämpft gegen einen der Mighty Robots, und urplötzlich greift er nach einem, hält fest - und ZACK ist man tot, obwohl man etwa 1-2 Handbreit an ihm vorbeisprang und obendrein auch noch volle Energie hatte. Die Augenblicke, in denen ich meinen Controller am liebsten in eine Kreissäge gehalten hätte, sind kaum in Zahlen auszudrücken - ebenso wie mein Blutdruck. Mighty No. 9 ist ein teils unsagbar frustrierend schweres Spiel.
Dabei gehört sowas ja irgendwie dazu: Nicht immer alles gleich beim ersten Anlauf schaffen können. Sich reinfuchsen, sich alles einprägen. Alles genau beobachten, ein Gefühl dafür kriegen. Aber dennoch: Mighty No. 9 ist häufig u-n-v-e-r-s-c-h-ä-m-t schwer, da es plump gesagt unfair ist.
Hinzu kommt allerdings, und DAS treibt den Wutpegel auf die Spitze, dass die Ladezeiten lächerlich lang dauern. Wenn man einen Level gerade erst aus dem Auswahlmenü heraus startet, ist es zu verkraften, wenn man 15-20 Sekunden warten muss. Es ist nicht schön, aber na gut, das muss ja auch alles in den Arbeitsspeicher geladen werden - ok, was soll's. Aber diese 15-20 Sekunden wartet man immer. Und ich meine wirklich I-M-M-E-R! Man bootet das Spiel? 15-20 Sekunden warten! Man ruft das Optionsmenü auf? 15-20 Sekunden warten! Man wählt eine Stage aus? 15-20 Sekunden warten! Man stirbt in einem Level und muss am letzten Checkpoint weiter machen? 15-20 Sekunden warten!
Und richtig, das ist kein Tippfehler meinerseits! Wer in einem Level einmal stirbt, wartet 15-20 Sekunden, bis man ab dem letzten Checkpoint wieder ansetzen kann. Und wenn man dann aber gerade eh schon zigmal abgenippelt ist, weil es wieder einmal etwas ZU unfair zuging, und man deshalb so richtig schön gefrustet ist, ist es nicht hilfreich, wenn man eine gefühlte Ewigkeit das Ladesymbol angezeigt bekommt, statt zügig weiterspielen zu können. Dem Ganzen die Krone aufgesetzt wird dem dann allerdings - und es passiert nicht unbedingt selten! -, wenn man also diese Zeit wartet, man endlich weiterspielen kann, man aber sogleich wieder draufgeht und man erneut 20 Sekunden warten muss, man dann eeendlich weiterspielen kann, und man direkt wieder ins Gras beißt und abermals warten muss... AAAAAAAAAAAARGH!
UMFANGDer Umfang ist sehr ordentlich, finde ich. Es gibt im sogenannten HAUPTMODUS eine Tutorial-Stage, 8 typische Level, mit je einem Mighty Robot am Ende, und danach gibt's auch nochmal was zu tun.
Wem das nicht genügt, geht in den EX-MODUS. Hier warten mehrere Dutzend Challenges auf Beck. Allerdings entsprechend der Leistung im Hauptmodus, soll heißen, je weiter man ihn absolvierte, desto mehr Challenges werden spielbar. Und zwar sowohl im Single-, als auch im Online-Two-Player. Im Kern geht es immer darum, das Ende eines speziell präparierten, einigermaßen kurzen Levels zu erreichen. Allerdings immer mit einem bestimmten Twist. So kann man zum Beispiel nicht dashen oder mit Waffen angreifen - und obendrein tickt die Uhr. Diese zählt a) die benötigte Zeit, die sich per integrierten Onlinelisten vergleichen lässt, aber erreicht b) der Timer 0, bevor man das Ziel erreichte, gilt der Versuch als gescheitert. In den ersten paar Challenges empfindet man das Zeitlimit noch als recht großzügig, doch schon bald muss man mächtig auf die Tube drücken. Ähnlich ist es es im Online-Two-Player. Kooperativ müssen beide das Ziel erreichen und ihre Fähigkeiten vereinen und ergänzen. Über die Möglichkeit, online zu zweit eine Handvoll Challenges zu meistern, geht der Mehrspieler bei Mighty No. 9 aber nicht hinaus. Aber eine nette Dreingabe, keine Frage - wenn sie nur nicht so stark laggen würde, und nicht auch erst im Hauptmodus freigeschaltet werden müsste.
Ferner bleibt zu guter Letzt noch der Boss-Rush-Modus. Hier sagt sicherlich der Name, wozu er da ist: Man kämpft am Stück gegen alle Bosse - allerdings auf Zeit, sodass diese in-game per Onlinelisten verglichen werden kann.
TECHNIKGrafisch muss man einerseits sagen, dass Mighty No. 9 durchaus hübscher aussehen könnte. Nicht, dass ich die Optik nicht mögen würde, nein, nein, sie gefällt mir, aber dennoch muss man zugeben, dass Mighty No. 9 in etwa auf PlayStation-1-/Dreamcast-Niveau liegt. Das soll beileibe keine echte Kritik sein, denn wie erwähnt, ich mag den Stil, weil ich außerdem auch davon ausgebe, dass eine gewisse retroesque Grafik wohl beabsichtigt war, aber bei manchen Effekten, wie Explosionen beispielsweise, wäre sicher mehr dringewesen. Deshalb möchte ich bitte genau verstanden wissen: Die Grafik ist ok, so, wie sie ist. Sie ist hübsch, es glitcht nichts, pi pa po, aber es hätte noch eine Schippe draufgelegt werden und trotzdem nach Retro aussehen können.
Auch gibt es hin und wieder einen Effekt, den ich mir nicht erklären kann und der offenbar auch nicht im Spiel oder seiner Anleitung dokumentiert ist: Manchmal wirkt es, als laggten die Animationen, oder als würden die Animationen mehrere Frames überspringen. Was dann dazu führt, dass man unnötig Schaden nimmt oder man im schlimmsten Fall ganz schlicht und ergreifend in die Tiefe fällt und ein Leben verliert. Ob das irgendeine Art moderner Spezialeffekt sein soll, mir meine Augen nur einen Streich spielten oder dies tatsächlich irgendeine Art von Bug ist, weiss ich nicht mit Gewissheit, alles drei ist möglich, aber auf jeden Fall nervt es vor allem in kritischen Augenblicken des Spiels.
Was allerdings in praktisch allen Leveln auffällt ist, wie leer diese hin und wieder wirken. Dabei sind sie gar nicht leer, es ist nur so, dass es einerseits an Abwechslung fehlt, denn wo sind etwa die Abschnitte, in denen man von Plattform zu Plattform springen/dashen muss, während diese in einem bestimmten Intervall verschwinden und wieder auftauchen, oder sich hin- und herbewegen? Und andererseits entsteht in manchen Passagen durch Leveldesign und Gegnerplatzierung der Eindruck, als fehle etwas. Wie diese eine leere Ecke im Wohnzimmer, bei der vielleicht eine Zimmerpalme oder ein Beistelltischchen den letzten Schliff bringen würde. Nicht, dass es schlimm wäre, dass dort nichts ist, aber trotzdem guckt man immer wieder dorthin und überlegt, wieso diese Ecke einfach nicht optimal ist.
Der Sound und Musik sind 50-50. Zunächst: Mit den Soundeffekten per se bin ich sehr zufrieden, aber die Sprachausgabe ist meistens nicht das Gelbe vom Ei. Die Dialoge klingen allesamt theatralisch und affektiert, was den Eindruck erweckt, die Gesprächteilnehmer sprächen einfach nur so zu sich selbst in die Luft und als hörten sie ihrem Gegenüber überhaupt nicht zu. Ferner passt die vermittelte Gefühlslage nicht immer zum Gesagten. Ein wenig so, als würde man tieftraurig in sein Kopfkissen heulen und dabei andauernd lauthals "Juchuuuu" brüllen und dabei über das ganze Gesicht strahlen.
Die Musiken sind immer in zwei Versionen zu haben. Einmal als normale, moderne Fassung, und einmal im 8-Bit-Gewand. Und ganz ehrlich? Die modernen Klänge bleiben nicht haften. Nichts fetzt, nichts peppt, nichts, das man mitsummen würde. Doch dieselben Musiken als 8-Bit-Version haben etwas mehr Appeal. Die Melodien und die Rhythmik sind unverändert, aber es kommt einfach mehr Feeling für die Tracks auf. Doch auch so langen sie nicht an die Klasse vieler Mega-Man-Musiken heran. Es mangelt an geilen Hooks, an prägnanten Melodiebögen. Es ist und bleibt, ob modern oder 8-bittig, einfach nur eine nicht nervende Musik, die halt vor sich hindudelt, während man spielt.
Zum Gameplay und dem Schwierigkeitsgrad habe ich an und für sich schon alles geschrieben (etwas zu viel Dashing, sackschwer, oft unfair), aber dennoch möchte ich in puncto Gameplay noch etwas loswerden. Mir fehlt der Sinn, einen Level nochmal und nochmal und nochmal zu spielen, wenn man ihn geschafft hat. Es gibt darin keine Geheimpassagen mit irgendwelchen Goodies zu entdecken, keine Geheimwaffen oder Tools. Man spielt einen Level höchstens deshalb nochmal, weil man den Highscore und seine Bewertung (zusammengesetzt aus benötigter Zeit, kassierten Treffern, Dashing-Combos und dergleichen) verbessern möchte - WENN man es überhaupt möchte. Und das ist schade. Denn ich bin nicht der Highscore-Spieler. Und gerade bei der Mega-Man-X-Reihe gefiel es mir besonders gut, jeden Level auf's Genaueste zu untersuchen, ob da noch irgendwo ein Upgrade ist, und überall einfach mal jede Waffe auszuprobieren, um zu gucken, ob irgendwo eine Wand verschwindet oder ein Tor sich öffnet. Dies alles fehlt hier.
FAZITIch selbst habe auch diverse Negativpunkte an Mighty No. 9 genannt, aber dennoch verstehe ich die teils vernichtende Kritik meiner Kollegen und Kolleginnen nicht, die ich in so manchem Review las oder hörte. Sicher, das Spiel ist nicht perfekt, ja, ich war oft sehr frustriert, und die Ladezeiten gehen natürlich mal gar nicht! Aber trotzdem: Jetzt, wo ich damit durch bin, ist meine Empfindung, dass ich Mighty No. 9 gern gespielt habe. Anders kann ich es nicht beschreiben. Ich hatte meinen Spaß damit. Wirklich.
Mighty No. 9 kann das neue Mega Man (X) sein, wenn Inafune-san beim Nachfolger etwas mehr auf die Feinheiten achtet, und bedenkt, dass "Hoher Schwierigkeitsgrad" nicht gleichzusetzen ist mit Unfairness.