Cover: Wheels of AureliaItalien 1978
Es ist schwer in Worte zu fassen, was Wheels of Aurelia eigentlich ist, doch im weitesten Sinne entspricht sein Prinzip dem einer Visual Novel. Ihr führt Gespräche mit anderen Personen und dürft bei jeder Frage eine Antwort wählen, manchmal auch selbst Fragen stellen. Etwa wie ein interaktives Buch. Besonders ist an diesem Titel, dass alle Gespräche innerhalb eines Autos stattfinden und dass Ihr von Zeit zu Zeit auch ein Auge auf die Straße haben müsst, um zu überholen oder bei einem Rennen die Nase vorn zu haben.

Italien im Jahr 1978. Ein streng religiöses Land, in dem die Emanzipation der Frau höchstens klein in der Ferne am Horizont zu erkennen war. In diesem Kontext macht sich die selbstbewusste Lella auf, mit dem Auto von Rom nach Frankreich zu fahren. Unsere Protagonistin ist eine unangepasste junge Dame, sie raucht und geht gern feiern. Auf ihrer Reise lernt sie etliche Anhalter kennen, die ihr als Beifahrer teils in derber Sprache ihre Geschichte erzählen. Dabei steht diese immer im Kontext zu den Gegebenheiten und Geschehnissen im Italien der 1970er Jahre. Es geht etwa um die Ungleichbehandlung von Frau und Mann, politische Themen bis hin zu Anschlägen sowie um Kulturereignisse wie Festivals. Da ist etwa Olga, die Lella in einer Disco kennenlernt. Sie ist schwanger, doch der Vater hat sich aus dem Staub gemacht. Nun möchte sie Lella nach Frankreich begleiten, weil ihr die Abtreibung im konservativen Italien nicht möglich wäre.

Viele Wege führen aus Rom
Diese und dutzende anderer Geschichten erwarten Euch im Spiel. Dabei habt Ihr auf unterschiedliche Weise Einfluss auf das Schicksal Eurer Beifahrer und Lellas persönliche Haltung zu ihnen. Zum einen könnt Ihr Euch in den knapp gehaltenen, teilweise recht abgehackten Gesprächen stets für eine von mehreren Antworten entscheiden, oder aber auch schweigen. Selbst das Schweigen ist jedoch häufig eine Antwort, die beeinflusst, was als nächstes passiert. Natürlich ist auch entscheidend, welche Anhalter Ihr mitnehmt und mit wem von ihnen Ihr überhaupt ein paar Worte wechselt.
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Die meiste Zeit fährt sich Euer Wagen von selbst, wobei Ihr ihn aus einer isometrischen Perspektive beobachtet. Von Zeit zu Zeit jedoch müsst Ihr auch in das Geschehen auf der Straße eingreifen. Manchmal sollt Ihr Euch entscheiden, ob Lella abbiegen oder weiter der Hauptstraße folgen soll. Auch kann es geschehen, dass Ihr in illegale Straßenrennen oder Verfolgungen verwickelt werdet. Die Wahl des Weges und auch der Ausgang von Rennen beeinflussen wiederum den Verlauf der Geschichte.
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Ebenfalls einen Einfluss hat, welches Auto Ihr zu Beginn wählt, und ob Ihr das Fahrzeug während der Reise nach Frankreich wechseln müsst. Das Gameplay auf der Straße mag hier recht actiongeladen klingen doch das ist es keinesfalls. Die Fahrmechanik ist träge, langsam und ungenau. Dieses Element dient weniger dem Nervenkitzel, als dass es vielmehr dem Zweck unterworfen ist, der Geschichte von Lellas Reise neue Wendungen zu geben.
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Je nach Wahl des Weges, der Gesprächsthemen, des Begleiters und des Autos bietet Wheels of Aurelia 16 unterschiedliche Endszenarien. Diese sind teilweise recht weit hergeholt und stehen ihrerseits natürlich wieder im Zusammenhang mit den Vorfällen und Ereignissen in Italiens jüngster Geschichte. Bis Lella ihr Ziel erreicht hat, vergehen pro Spieldurchgang ca. 30 bis 45 Minuten, dann geht es wieder von vorn los. Wenn Ihr aber nicht jedes Mal wieder ganz am Anfang in Rom beginnen wollt, bietet die Software Euch die Möglichkeit, ein neues Spiel auch ab einem späteren Abschnitt zu beginnen.
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Anstelle einer aufwendigen Videosequenz werden die Enden in je zwei kunstvollen Standbildern mit Text dargelegt. Auch sonst ist das Spiel technisch simpel gehalten. Die Grafik basiert auf zweidimensionalen Sprites und einfachen Polygonen. Sound- und Grafikeffekte sind rar gesät. Überhaupt wirkt alles recht eintönig, wenn auch zuweilen kunstvoll. Augen und Ohr bekommen seichte Kost geboten, die aber dem Zweck des Erzählens der Geschichte dienlich sind. Dem Soundtrack ist zugute zu halten, dass für Wheels of Aurelia eigens einige italienische Songs eingesungen wurden. Das passt klasse zu Stil des Spiels. Voice Acting gibt es allerdings nicht.
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FAZIT
Wheels of Aurelia geht spielerisch mit seinen komplexen Themen um. Leider sind diese oft in viel zu kurze Textpassagen gepackt, weshalb die Gespräche oft unvollständig wirken. Die Fahrmechanik stört manchmal den Fluss des Gespräches, was vielleicht als Teil der Spielmechanik gemeint ist. Auch das einfache technische Grundgerüst haut wohl niemandem vom Hocker.
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Nur diejenigen, die sich für Italiens Geschichte oder das Aufkeimen des Feminismus sowie für politische Ereignisse in dem Land interessieren, könnten Freude mit Wheels of Aurelia haben - ebenso Spieler aus Italien. Für dieses hierzulande eher kleine Publikum könnte ein Kauf Sinn machen, alle anderen sollten lieber keine Experimente wagen. Doch eines ist Wheels of Aurelia in jedem Fall: Einzigartig.
«Jojo» Singleplayer: 59%

Verfasst von «Jojo» am 10.12.2017,
bemustert durch MixedBag
für bis zu 1 Person/en
Release am 02.11.2017