Ray spaziert so seines Weges. Plötzlich fällt ihm etwas auf den Kopf, er wird ohnmächtig und als er wieder erwacht, ragt ein rosafarbener Arm aus seinem Kopf heraus. Mitsamt einer Hand an dessen Ende. Für Ray ist klar, dass er ganz bestimmt einfach nur träumt. Und in Träumen kann einem ja nichts passieren. Darum wundert er sich auch nicht, wie seltsam alles aussieht und dass einiges in seiner Umgebung sehr skurril anmutet. Nein, im Gegenteil! Er macht sich auch gar keine Sorgen, sondern probiert die Hand erstmal aus.
Er stellt fest, dass nur er allein das komische Gewächs auf seinem Kopf sehen kann. Dann, dass er damit Dinge greifen und sogar die Gedanken anderer lesen kann. Er muss nur mit der rosa Hand danach greifen und festhalten. Ansonsten scheint alles aber relativ normal zu sein. Er weiss, dass er Ray ist und sprechen, laufen und springen kann er ebenfalls immer noch. Er versucht also erstmal nach Hause zu gehen. Und stößt dabei gleich auf die ersten Hindernisse - und für uns eröffnet sich eine Art Tutorial.
Ray kann mit der neuen Hand nach roten Pinnwandnadel greifen und sich zu ihnen hochziehen oder herabschwingen, um Ebenen der Spielwelt erkunden zu können, die weiter oben, weiter unten oder im Hintergrund liegen. Ray kann außerdem mit den Leuten, die überall herumstehen, sprechen und ihre Gedanken lesen, wenn er mit seiner dritten Hand an ihren Kopf fasst. So erfährt er ihre Wünsche, Ängste, Bedürfnisse... Und das ist sehr wichtig für Ray, denn er kommt nach guter, alter Point-and-Click-Manier nur voran, wenn er Gegenstandssticker A zu Person B bringt, oder ihn an Objekt C klebt. So erhält er weitere Gegenstände, die er dann abermals verwenden muss. Natürlich kann er aber nicht jeden Sticker an jeden beliebigen Platz kleben. Ray muss überlegen, welcher Sticker gerade wo Sinn ergibt, damit es weitergehen kann. Und wenn er noch nicht so recht weiß, was er mit einem neuen Sticker anfangen soll, oder welchen Sticker man wohl in Situation X benötigen könnte oder wo man diesen findet, muss er sich eben erst weiter umschauen und mit Leuten sprechen und in ihren Gedanken lesen.
Da gibt es zum Beispiel den jungen Mann, der seiner Barbara hinterhertrauert. Die hat sich in einen anderen Typen verguckt, weil der so schöne, strahlende Zähne hat, und der junge Mann ist so verzweifelt, dass er sich das Leben nehmen möchte. Ray muss also Barbara ausfindig machen und sich überlegen, wie er sie wieder mit ihrem Exfreund zusammenbringen kann. Im Laufe der Zeit findet er dann von Sticker zu Sticker, hat irgendwann den richtigen, klebt diesen an den Deprimierten und seine Angebetete kehrt daraufhin wieder zu ihm zurück. Oder der Psychiater Dr. Brom, der seinen Job nicht mehr ausüben kann und nun selbst zu einem Psychiater geht. Doch dass Dr. Brom wieder praktiziert, ist für jemand anderen wichtig - und natürlich für Ray, damit er weiterkommt.
TECHNIKWas bei Stick it to the Man! ganz besonders heraussticht, sind die sehr witzigen, wortgewandten Dialoge. Obwohl, wortgewandt sind sie eigentlich eher im englischen Originalton, denn die deutschen Untertitel können durch die Übersetzung zwangsläufig nicht mit den vielen Wortspielen mithalten. Wenn z.B. ein alter Pirat seine Hand an Ray übergibt ("to lend a hand"), will das auf Deutsch einfach nicht so flutschen, wie es eigentlich gedacht ist. Trotzdem merkt man überdeutlich, wie viel Mühe man sich bei der Übersetzung gab, denn schlecht ist sie keineswegs. Es geht übersetzungsbedingt nur eben leider ein kleinwenig vom Witz verloren.
Dennoch geht auch der beste Gag irgendwann etwas auf den Keks. Denn das dauernde Ansprechen und Gedankenlesen ist natürlich auch zeitaufwendig, denn man muss ja (der englischen Sprachausgabe) zuhören, bzw. (die deutschen Untertitel) mitlesen, bevor es weitergeht. Da läppern sich dann schon so einige Minuten zusammen, die man sich gern ersparen möchte. Glücklicherweise ist das möglich, wenn man währenddessen den linken Analogstick nach rechts hält und Mono-/Dialoge laufen mit erhöhter Geschwindigkeit ab. So geht zwar etwas von der Ruhe und Entspanntheit von Rays Abenteuer verloren, aber andererseits können ungeduldige Naturen so schneller vorankommen.
Doch kann Ray auch mal von Gangstern erwischt werden, von der Brücke ins Wasser fallen und dergleichen. Der Jump 'n Run-Anteil in Stick it to the Man! ist nämlich etwa genauso hoch, wie der Quasi-Point-and-Click-Anteil. So muss er etwa besagten Gangstern ausweichen, oder sich einfach ganz normal durch die Gegend bewegen, um von A nach B zu gelangen. Und sollte dabei mal etwas schiefgehen, wird er zum letzten Checkpoint zurückgebeamt. Weil es aber alle 20-30 Sekunden einen Checkpoint gibt, an dem Ray einfach nur vorbeilaufen muss, ist das überhaupt gar kein Problem. Das beinhaltet aber zugleich auch, dass Ray niemals sterben oder "Game Over" gehen kann.
Aufgeteilt ist das alles in 10 Kapitel - wobei jedes Kapitel etwas umfangreicher und zeitintensiver ist, als das vorherige! - und bietet 4 bis 6 Stunden Gesamtspielzeit. Abhängig davon, wie clever man sich beim Herausfinden der jeweiligen Lösungen anstellt.
Grafik und Sound von allen anderen Spielelementen losgelöst bewerten, ist beinahe unmöglich, weil Stick it to the Man! in der Tat so konzipiert ist, dass alles ineinandergreift. Doch mit "Paper Mario, nur in seltsam" trifft man es wohl ganz gut. Denn vor allem Grafisch hat Stick it to the Man! nämlich viel von der Paper-Mario-Idee: 2D-Objekte in papierähnlicher Optik und abstrakter Kulisse. Und die Musik schlägt in dieselbe Kerbe. Nette Sounds, die man gern auch mal vor sich herdudelt.
Die Steuerung ist in den ersten 15 Minuten etwas verwirrend, weil ungewöhnlich. Doch verwundert das eigentlich nicht, denn schließlich ist Stick it to the Man! genauso ungewöhnlich. Da sowohl Ray als auch dessen rosa Arm und Hand gleichzeitig kontrollierbar sein müssen, wird Ray mit dem linken Analogstick bewegt und springt mit B, wohingegen der rechte Analogstick das Zielobjekt für Hand anvisiert und durch ZR dann danach gegriffen werden kann. ZL aktiviert zudem den Gedankenlese-Modus. Auch hier platziert man jetzt den Cursor auf den gewünschtne Kopf und drückt dann ZR. Und das aus dem Effeff von den Fingern zu kriegen, benötigt ein paar Minuten der Einarbeitung. Im Besonderen, wenn später auch Spielpassagen anzutreffen sind, in denen Ray sowohl laufen, als auch gleichzeitig mit der dritten Hand nach Objekten greifen muss, weil ihm zum Beispiel Gangster auf den Fersen sind und es deshalb schnell gehen muss.
FAZITStick it to the Man! ist mal ein anderes Spiel. Die an sich sehr gelungene Mixtur aus Jump 'n Run und Point and Click wird nur durch die Unmengen zu verfolgender Mono- und Dialoge getrübt. So witzig und gut geschrieben die sind, aber in der Quantität hemmen sie etwas den Spielfluss. Wer sich damit arrangieren kann, wird auf jeden Fall seinen Spaß haben. Einen Schwierigkeitsgrad im eigentlichen Sinne gibt es nicht, weil die Stickerrätsel nie sonderlich komplex werden und Ray niemals ableben kann. Darum kann ich Stick it to the Man! ruhigen Gewissens allen empfehlen, die gern lachen; vor allem, wenn es schräger Humor ist. :)