Cover: Burly Men at SeaDrei Bärte auf See
Die Gebrüder Bart, liebevoll Stetigbart, Hastigbart und Mutigbart genannt, stoßen während eines ihrer Schiffausflüge auf eine Glasflasche, die eine scheinbar unvollständige Karte ihrer Umgebung enthält. Schnell finden sie heraus, dass diese Karte Geheimnisse birgt, die es aufzudecken gilt, und stechen in See, um allerlei Abenteuer zu erleben.

Es handelt sich hierbei gar nicht mal so sehr um ein "Spiel" bei diesem Titel. "Burly Men at Sea" setzt vor allem auf seine Narrative, die quasi omnipräsent ist. Mit dem Setting an die nordischen Mythologien angelegt, gilt es, verschiedene Abenteuer zu erleben, wobei an mehreren Knotenpunkten der weitere Verlauf der Geschichte durch die Entscheidung des Spielers bestimmt wird. Schlüsselmomente werden mit kreisförmigen Symbolen auf der zunächst leeren Umgebungskarte gekennzeichnet. Ist eine Geschichte abgeschlossen, was meist 20-30 Minuten in Anspruch nimmt, wird diese als Buch in einem Regal gespeichert, wobei die Symbole von den Schlüsselmomenten den Buchrücken der jeweiligen Geschichte zieren. Idealerweise hat man dann ein volles Regal mit vielen verschiedenen Geschichten der drei Brüder stehen.

Das Gameplay beschränkt sich auf äußerst rudimentärer Point 'n Click-Manier. In diesem Genre etablierte Elemente wie ein Inventar, Kombinations-Rätsel, verschiedene Antwortmöglichkeiten oder bunte Untersuchungsoptionen gibt es nicht. Man kann also nur bestimmte Dinge oder Personen ansprechen und in vorgegebene Richtungen laufen, um die Handlung ins Ungewisse zu lenken. Den Rest erledigen die in Prosa geschriebenen Erzählungen, die mit märchenhaften Charakteren und charmanten Dialogen aufwarten. Dementsprechend gibt es hier auch kein Game Over - sprichwörtlich nicht, denn das Spielende knüpft, wie es der Zufall will, stets an den Anfang der Handlung an. Somit spielt man quasi eine Geschichte in Endlosschleife, bis man letztendlich alle verschiedenen Pfade abgeklappert hat, die teilweise sehr unterschiedlich aussehen können.
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Eine gameplay-technische Besonderheit ist sicherlich, dass das Spielgeschehen stets von einer einfarbigen Umrandung eingehüllt ist. Diese kann man mit dem Zeiger ausweiten, sodass sich neue Einblicke in die Umgebung eröffnen. Diese Umrandung wird auf verschiedene Weise genutzt: So verkörpert sie in manchen Szenen Dunkelheit, in anderen wiederum Nebel, die je nach Ausweitung verschiedene Auswirkungen auf die Geschichte haben können. Somit wird dieser Umstand effektiv in die Erzählung auf clevere Art und Weise eingebaut, anstatt zu einem bloßen, dogmatisch integrierten Gameplay-Element zu verkommen.
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Gespielt kann sowohl im Handheld, als auch im Tisch- und im TV-Modus. Bei den beiden letztgenannten Varianten spielt man mit einem einzelnen Joy Con, wobei dann nochmal zusätzlichen zwischen Gyroskop- und reiner Tastensteuerung ausgewählt werden kann. Da mir die Joy Con-Varianten beide zu schwerfällig waren, fiel meine Wahl dann doch auf die Touch-Steuerung. Nicht zuletzt, weil das Spiel ursprünglich für Smartphone- und Tablet-Geräte konzipiert war, was man auch schnell anhand der Steuerungsmethoden ahnen kann. Schade war natürlich, dass ich dann nicht das typische TV-Erlebnis hatte, das bei einem solch erzählerischen Spiel zugutekäme.
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Audiovisuell sticht das Spiel durch seinen sehr distinktiven Animationsstil heraus, der sich durch eine vereinfachte, konturlose Grafik mit klar getrennten Farben und technisch einwandfreien, flüssigen Animationen auszeichnet. Akustisch beeindruckt es durch sauber aufgenommene Instrumental-Klänge und witzigen Männerstimmen, die nicht nur die enthaltenen Stücke durch A cappella-Gesang aufwerten, sondern auch einen Großteil der Soundeffekte durch Lautmalereien übernehmen. Dies stärkt den Eindruck eines vorgelesenen Märchens ungemein, der während des Spiels auch erreicht werden soll.
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Nicht so märchenhaft, wie erhofft?
Womit ich also beim erzählerischen Aspekt des Spiels angekommen bin. Ausgerechnet hier konnte mich das Spiel leider nicht zu 100% überzeugen, was ich bei einem Spiel, das quasi nur aus Story besteht, eigentlich erwartet hätte.
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Das Spiel ist nämlich ganz klar darauf ausgelegt, das Gefühl eines Märchenbuchs zu erzeugen bzw. ein Buch mit Geschichten für Kinder, das seine Handlung mit eindrucksvollen Bildern vorantreibt. Und all diese Elemente funktionieren auch tadellos. Dass das Gameplay dabei minimalistisch bis zum Geht-nicht-mehr gestaltet wurde, ist auch gar kein Problem für mich.
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Was mir ein bisschen seltsam aufgestoßen ist, waren die Erzählungen selbst. Diese sind in klassischem Prosa geschrieben, wie man es in Romanen oft vorfinden würde. Stilistisch ist alles eigentlich einwandfrei, die Formulierungen sind prägnant und schweifen auch nicht zu sehr in umgangssprachliche Floskeln ab. Nur leider werden die Erzählungen nicht durch passende Stilmittel wie ausgeschriebene Lautmalereien, malerische Beschreibungen oder altertümliche Sprache ausgeschmückt, wie man es von Kinderbüchern oder Märchen eigentlich gewohnt ist. Das Ganze liest sich wie eine nüchterne Erzählung über die albernen Abenteuer dreier Männer auf See mit selbst-ironischem Unterton, der in dieser kindlichen Aufmachung ein wenig deplatziert wirkt.
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Nun könnte man natürlich argumentieren, dass das Spiel ja gar nicht darauf ausgelegt gewesen wäre. Vielleicht war es nie gedacht, dass man die Handlung beispielsweise Kindern vorlesen können solle. Möglicherweise nehme sich das Spiel ja tatsächlich gar nicht so ernst und der Erzählstil sei deswegen ganz passend. Dann stellt sich aber mir die Frage, welchen Mehrwert ich daraus ziehe, dieses sogenannte "Spiel" zu spielen, was ja eigentlich kein Spiel ist, sondern eine leicht interaktive, durch Animationen verfeinerte Erzählung. Blendet man dies aus, hat man lediglich nur noch eine einfach bebilderte Geschichte mit stimmiger Soundkulisse vor sich, die ohne die Erzählungen aber unvollständig wirken würde. Dadurch, dass mir das Spiel aber keine interessanten Beschreibungen bieten kann, fehlt das letzte ergänzende Glied, um letztendlich von mir als vollwertiges Kunstspiel betrachtet werden zu können. Vielleicht wäre der Ansatz eines Spiels, das vollkommen ohne Erzählung auskommt, in diesem Fall sogar interessanter gewesen.
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Ich habe das Spiel probehalber nochmal auf Englisch (Originalsprache) und Japanisch umgestellt, um zu schauen, ob es sich beim Erzählstil nur im Deutschen so verhält. Leider waren auch in diesen Sprachen die Formulierungen zwar grammatikalisch und stiltechnisch einwandfrei, wiesen aber die gleichen Mängel wie in der deutschen Übersetzung auf. Letztendlich ist die Schmucklosigkeit der Erzählungen also auf die ursprünglichen Entwickler zurückzuführen, was mich als Geschichtenliebhaber dann bedauerlicherweise gar nicht überzeugen kann. Wirklich schade, sehr sogar!
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Fazit
Es ist wirklich schade, wie der eigentlich anständige Erzählstil mit den restlichen Aspekten des Spiels nicht wirklich harmonieren möchte. Grafik, Sound und Atmosphäre sprechen eindeutig für eine epische, leicht träumerische Geschichtenerzählung. Die in dem Spiel angewandte Alltags-Prosa wird dem aber leider einfach nicht hundertprozentig gerecht. Die Elemente sind alle für sich einzeln betrachtet eigentlich ganz ordentlich: Audiovisuell recht ansprechend, das Setting nicht allzu verbraucht und die Geschichten äußerst schnuffig und malerisch präsentiert. Für ein paar Durchgänge war es deshalb noch interessant genug, um die ganzen verschiedenen Szenarien sich mal zu Gemüte führen zu können. Als Gesamtpaket hinterlässt "Burly Men at Sea" bei mir aber unglücklicherweise einen recht schalen Eindruck, da dieses Spiel leider genau dort nicht zündet, wo es mich eigentlich am meisten überzeugen soll: In seiner Wortwahl.
«Ligiiihh» Singleplayer: 65%

Verfasst von «Ligiiihh» am 14.04.2018,
bemustert durch Seaven Studio
für bis zu 1 Person/en
Release am 12.04.2018