Es gibt Serien, die gehen Jahrzehnte lang völlig ungerechtfertigt an einem vorbei. Kein Wunder! Es gibt so viele gut gemachte Spiele da draußen! Um alle zu erleben, bräuchte man sieben Leben, wie eine Katze. Wer von Euch hat etwa mal einen Blick auf die Spiele der Ace Attorney-Reihe geworfen? Tatsächlich melden sich vermutlich in diesem Moment nicht Wenige zu Wort, denn die Ace Attorney gilt als recht erfolgreich. Nach Angaben von Entwickler Capcom setzte die Serie bis September 2015 5,6 Millionen Einheiten ab. 2001 wurde japanexklusiv das Seriendebut für den Game Boy Advance veröffentlicht. Wir Europäer hatten erst 2006 auf dem Nintendo DS erstmals die Ehre mit Staranwalt Phoenix Wright. Neben der Videospielserie umfasst das Franchise bereits einen Manga, einen Film und sogar eine Anime-Serie, die auch mit deutschem Untertitel ausgestrahlt wird. Trotz allem muss ich zu meiner Schande gestehen, begebe ich mich mit Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice für den Nintendo 3DS das erste Mal in den virtuellen Gerichtsaal.
Hiermit erkläre ich die Verhandlung als eröffnet!In der Ace Attorney-Reihe (Japanisch "Gyakuten Saiban" etwa "Kehrtwende im Gericht") schlüpfe ich in die Rolle eines Anwalts. Meine Aufgabe ist es, die Unschuld meines Mandanten zu beweisen. Die Spiele der Serie sind ein Mix aus Point-&-Click-Adventure und Gerichtssimulation.
Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice versetzt mich in die Fußstapfen von Phoenix Whright, seines Zeichens Anwalt und Chef der Wright Anything Agency, seiner eigenen, kleinen Kanzlei. Um eine alte Bekannte zu treffen, verschlägt es den Anwalt in das weit entfernte, orientalische Königreich von Khura'in. Dort angekommen, muss Wright erleben, wie der angehende Mönch und Fremdenführer Ahlbi Ur'gaid des Diebstahls und Mordes bezichtigt wird. Der Brauch ist es in Khura'in, dass sich der Richter bei der Verkündung des Urteils voll und ganz auf die Visionen einer Seherin verlässt. Ihr ist es möglich, den Anwesenden die letzten Erinnerungen des Opfers zu zeigen, bevor sein Leben erlosch. Anwälte haben in dem Königreich einen sehr schlechten Ruf. Trotzdem liegt es nun an mir in der Rolle von Anwalt-Ass Phoenix Wright, meinen Mandanten Ahlbi da raus zu boxen. Die Vision zeigt die reine Wahrheit, doch kann es sein, dass man das Gesehene falsch interpretiert?
Später im Spiel muss ich mir auch als Apollo Justice meine Sporen verdienen. Er ist ein junger Nachwuchs-Anwalt in der Wright Anything Agency und bekommt es während Mr. Wrights Abwesenheit mit dessen alten Rivalen Miles Edgeworth zu tun. Jeder der Gerichtsfälle im Spiel erzählt, für sich genommen, eine packende und originelle Geschichte. Später greifen die Ereignisse ineinander. Was zunächst nach zufälligen Zusammenhängen der Geschehnisse anmutet, ergibt, im Großen und Ganzen betrachtet, ein neues Bild.
Legen Sie Ihre Beweise vor!Ace Attorney hat im Kern zwei Gamplay-Elemente. Vor jeder Gerichtsverhandlung steht die Untersuchung. In dieser Spielphase untersuche ich als Anwalt den Tatort und die Nebenschauplätze. Im Wesentlichen klicke ich auf Dinge, die meine Aufmerksamkeit erregen. Bei dreidimensional gestalteten Orten ist es möglich, den Blickwinkel zu verändern, sodass weitere Hinweise offenbart werden. Während der Untersuchung ist es ebenfalls meine Pflicht als Anwalt, mögliche Zeugen und Beteiligte zu befragen. Diese textlastigen Passagen des Games bergen den größten Kritikpunkt an Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice: Das Spiel bietet ausschließlich englischen Bildschirmtext und englische Sprachausgabe. Klar, die Textpassagen stecken voller Witz und sind offenkundig mit Hingabe verfasst. Aber das nun mal auf Englisch. Wer diesbezüglich nicht fest im Sattel sitzt und sich scheut, ein Wörterbuch aufzuschlagen, wird mit diesem textbasierten Point&Click-Titel definitiv nicht glücklich werden.
Wem es trotz Sprachbarriere gelingt, genügend entlastende Beweise zu finden, der rückt in die zweite Spielphase vor. Es öffnen sich die Türen des Gerichtssaals und die Verhandlung beginnt. Das schärfste Schwert eines Verteidigers vor Gericht ist das Kreuzverhör. Passage für Passage lese ich mich durch die Aussagen der Zeugen. Es ist mir erlaubt, zu jeder gesagten Passage genauer nachzuhaken. Zudem, wenn ich eine Ungereimtheit entdecke, kann ich einen Beweis vorlegen, der klarstellt, dass der Befragte an dieser Stelle die Unwahrheit spricht. Aber Obacht! Erhebt Mr. Wright zu häufig unbegründeten Einspruch, sprich, ich wähle an der richtigen Stelle das falsche Beweisstück oder umgekehrt, wird der Richter das Vertrauen in die Verteidigung verlieren. Präsentiere ich also zu oft irrelevante Beweise, wird mein Mandant schuldig gesprochen und mein gerechter Lohn ist der Game Over-Screen. Vor Gericht zählt nur, was bewiesen ist!
In Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice gibt es neben dem Kreuzverhör die sogenannte Divination Séance. Dabei handelt es sich um die Vision, die die Seherin in Khura'in dem Richter präsentiert. Sie zeigt die letzten Erinnerungen der Opfer. Wie die Aussagen von Zeugen, ist auch diese kurze Videosequenz in Passagen aufgeteilt. Der obere Screen des 3DS zeigt dabei die einzelnen Abschnitte des Videos. Es sind auch weitere Sinneseindrücke des Opfers vermerkt, etwa Gerüche und Geräusche. Auf dem unteren Screen steht unterdes geschrieben, welche Rückschlüsse der Richter aus dem Gesehenen zieht. Als Phoenix Wright muss ich nun die Divination Séance an der Stelle unterbrechen, an der ich eine falsche Schlussfolgerung des Richters erkenne. Etwa wenn das Opfer Musik aus Lautsprechern wahrnimmt, obwohl sich laut Auffassung des Richters zu diesem Zeitpunkt ein Stromausfall am Tatort zugetragen hat.
Immer wieder aufs Neue wird dieses wesentliche Gameplay im Gerichtssaal durch minispielartige Sequenzen aufgelockert, in denen ich etwa ein Beweisstück genau untersuchen muss oder es mit den Gefühlsausbrüchen von Zeugen zu tun bekomme. Was zunächst eintönig klingen mag, ist die meiste Zeit sehr unterhaltsam und abwechslungsreich gestaltet. Die Fälle selbst strotzen nur vor erfrischenden Ideen und sind nie vorhersehbar. Spätestens, als ich die Tricks einer Zaubershow aufdecken musste, um die Unschuld einer Mandantin zu beweisen, gewann ich diesen Eindruck.
Aus (kriminal-)technischer Sicht...
...macht Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice alles richtig und nutzt die Ressourcen des 3DS voll aus. Grafisch wird im Gerichtsaal einiges geboten. Die Hintergründe sind entweder gut gestaltete 3D-Kulissen oder kunstvolle 2D-Grafiken. Das Sahnestück der grafischen Präsentation sind aber die humorvollen und aussagekräftigen Animationen. Mr. Wright und co. wirken absolut lebendig. Es ist, als würde man einen guten Anime schauen.
Gesteuert wird wahlweise via Buttons oder Touchscreen. Letzteres ist aber wesentlich intuitiver. Richtig kultig ist die Nutzung des Mikrofons! Ich habe die Wahl: Entweder Ich nutze die Tasten des 3DS bzw. entsprechende Touchscreen-Symbole, oder ich erhebe meine Stimme. Rufe ich "Objection" ins Mikrofon, unterbreche ich den Zeugen in seinen Ausführungen und kann einen Gegenbeweis präsentieren. Völlig optional. Es besteht also kein Zwang, durch den Bus zu brüllen, sodass alle wach werden.
Die Netzwerkfunktionen des 3DS werden mäßig genutzt. Es gibt keinen Multiplayer-Modus, also fällt ein Lokales Spiel oder Online-Gameplay weg. Es ist aber möglich, sich via SpotPass über neue DLC-Inhalte benachrichtigen zu lassen und diese über das Nintendo Network zu erstehen. In diesem Augenblick finden sich im Shop zwei zusätzliche Episoden (Zu je 3,99€) und ein Kostümpaket (für 0,99€). Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice bietet auch ohne zusätzliche Inhalte genug Content für seine 29,99€. Daher ist der Preis für die DLCs durchaus gerechtfertigt.
StreetPass hat es übrigens nicht ins Spiel geschafft. Oft wirkt dieses Feature jedoch aufgezwungen. Vielleicht ist es ja besser, wenn man keine wirkliche gewinnbringende Idee zur Umsetzung hat, einfach mal ganz darauf zu verzichten.
Einspruch!Neben der ausschließlich englischen Lokalisation hat Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice noch ein paar andere Makel. Einige Passagen, gerade während der Untersuchung vor der Gerichtsverhandlung, sind sehr langatmig. Ich musste mich durch teils ellenlange Textpassagen lesen, von denen nicht immer alle zu Lösung des Falles beigetragen haben.
Zudem bleibt die ganze Angelegenheit vor Gericht nur so lange spannend, bis man feststellt, dass es kaum Konsequenzen hat, sich zu häufig zu irren. Wenn der Richter das Vertrauen in die Verteidigung verliert, und den Angeklagten schuldig spricht, kann man es sofort nochmal probieren. Ohne jeden Nachteil! Der einzige Anreiz, den man hat, kein Fehler zu machen, ist der eigene Ehrgeiz. Sonst tut es auch Trial and Error.
Ein kleineres Übel ist, dass Animationen und Soundeffekte, so schön und passend sie auch sind, sich häufig wiederholen.
Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil!Ich muss mich outen! Es ist zwar peinlich, aber selbst als beinahe fernsehabstinente Person kann ich nicht leugnen, dass ich an den Richter-Sendungen à la Barbara Salesch schon häufiger hängengeblieben bin. Umso erstaunlicher, dass die Ace Attorney-Reihe bislang an mir vorbeiging. Wer gute Englischkenntnisse und Lust am Lesen mitbringt, den erwartet eine gut gemachte und abwechslungsreich gestaltete Anwalt-Sim. Das Niveau ist glücklicherweise auch deutlich über dem, was Phoenix Wrights Kollegen im Fernsehen bieten. Eigentlich ist es schade, dass die Serie aus wirtschaftlicher Sicht keine Portierung und eine Retail-Variante wert zu sein scheint.