Visual-Novel-Games sind nicht jedermanns Sache. Spielerische Eingaben beschränken sich häufig auf das Weiterführen des unermüdlichen Textflusses und ein paar gelegentliche Wähle-A-oder-B-Entscheidungen. Da ist es doch erfrischend, wenn ein Spiel wie Kotodama: The 7 Mysteries of Fujisawa versucht, dieses Konzept etwas aufzulockern...
Als Schulwechsler komme ich recht spät im Semester an die Fujisawa Oberschule. Ich bin allerdings nicht allein, sondern habe meinen persönlichen Dämonen im Gepäck. Mon-Chan, wie sich der bläuliche Fuchs nennt, hat mich mit einem Vertrag an sich gebunden und mir im Austausch besondere Fähigkeiten verliehen. Dank meiner neuen Banknachbarin Nanami komme ich relativ schnell in Verbindung mit den sieben Mysterien der Schule und dem Occult Research Club - kurz ORC genannt -, der diesen Geheimnissen auf den Grund gehen möchte. Diese Ansammlung an Gerüchten sind ein weißer Wolf im nahen Waldstück, der Fluch einer verstorbenen Schülerin, der nie gesehene Direktor, eine geheime Bibliothek, ein Engel im Glockenturm, der nachts auf dem Schulgelände wandernde Gentleman und ein Spiegel, der die Zukunft zeigen soll.
Ich stecke gleich mittendrin, ermittle in mehreren Fällen erfolgreich und trete dem ORC bei. Doch sobald ich nach relativ kurzer Spielzeit alle Hauptakteure kennengelernt und für fünf der sieben Geheimnisse eine mehr oder weniger zufriedenstellende und logische Erklärung gefunden habe, nimmt das Übernatürliche Fahrt auf. Ich lande nämlich in einer Zeitschleife, die mich die ersten fünf Kapitel erneut angehen lassen. Mit meinem Vorwissen wird das bisher sehr geradlinige Abenteuer jetzt offener, ich wohne neuen Ereignissen bei und ändere den Ablauf des bisher Erlebten. So gehe ich in insgesamt sieben Kapiteln jedem Mysterium auf die Spur, was dann in einem übergreifenden Finale mündet.
DAS PUZZLEHauptaufgabe in jedem Kapitel, meine Gegenüber, mit der Fähigkeit, einen Riss in dessen Gedanken zu öffnen und dessen Geist Stück für Stück freizulegen, dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. In einem 8x8 großen Feld türmen diverse Kugeln, die ich als Dreierpaare aufreihe um einen erfolgreichen Angriff zu starten. Angetippte Sphären werden jedoch nicht mit einem direkten Nachbarn vertauscht, sondern hüpfen an die oberste Position, wodurch die anderen um einen Platz nach unten rutschen. In der oberen Reihe selbst kann ich die Kugeln nicht mehr bewegen, jedoch austauschen - was sich in der Praxis wirklich nur als absolute Notlösung anbot. Ich muss die Gefühlsleiste meines "Opfers", füllen, um siegreich zu sein. Visualisiert wird dieses Vorgehen, durch das Entfernen von Kleidungsstücken, sodass die - überwiegend weiblichen - Zielpersonen zum Ende hin in BH und Höschen darstehen. Mon-Chan selbst merkt an, dass das eine sehr freie Interpretation des berühmten Hilfstipps ist, sich die Menschen einfach in Unterwäsche vorzustellen und öffnet damit eine Metaebene. Da das Ganze nur in der Fantasie meines Charakters passiert und dieser lediglich als verlängerter Arm meiner Selbst agiert, macht das Spiel mich indirekt für diesen Inhalt verantwortlich.
So reihe ich erfolgreich Combos aneinander, um fünf Mädchen und einen(!) Jungen in meinem Geiste auszuziehen und sie aus ihrem Lügengeflecht zu befreien. Die Zeit dafür ist unbegrenzt, jedoch habe ich nur eine bestimmte Anzahl an Zügen zur Verfügung, die sich nur unter zwei Bedingungen wieder auffüllen lassen. Zum Einen erhalte ich nach jedem gefüllten Viertel - und somit abgelegter Kleidung - zehn weitere Züge spendiert, und zum Anderen kann ich gewonnene Punkte in Hilfsmittel investieren. Diese vier Utensilien kann ich auf dem Gesicht oder Bauch meines Zieles anwenden, um zu einem gewissen Prozentsatz weitere Züge zu erhalten. Das höchste ist, zu 90% einen Zug zu bekommen, und die niedrigsten Prozent geben mir sogar fünf weitere Chancen. Im ungünstigsten Fall mache ich meinen Gegenüber mit meiner Aktion allerdings wütend, und werde bestraft. Charakterindividuell bekommt dieser einen Schild gegen die nächsten Angriffe, blockiert einige Sphären oder würfelt das ganze Brett neu aus. Mache ich hingegen gute Arbeit und löse eine Reihe von Combos aus, bekomme ich im Feld Boni, wie etwa Bomben, Angriffsverstärker oder ein Roulette, das eine Kugel-Art auslöscht.
Etwas holperig ist die Erklärung, dass es sich hierbei um die Macht der Worte handeln soll. Kommt das in den Puzzles selbst nicht gut rüber, ist es in der Handlung etwas klarer. So habe ich durch den Dämonenvertrag ein Wörterbuch erhalten, welches Schlüsselwörter abspeichert. Sammle ich davon genug, werden die Sphären aufgelevelt und ihr Schaden wird erhöht. Zusätzlich lässt sich für die Hauptfiguren ein besonderer Begriff erlernen, welcher die vorher als Blocker eingesetzte Kugeln zu machtvollen Angriffen werden lässt und die Puzzleabschnitte, während dem Wiederholen der Handlung, deutlich vereinfacht. Die Puzzles können nach Belieben auch aus dem Hauptmenü oder dem Internatszimmer heraus angegangen werden. Für jeden der sechs Charaktere lassen sich in diesem Zusammenhang vier Sets an Unterwäsche und ein Hard-Modus erspielen. Ist dieser bewältigt, schalte ich extra Artwork frei. Auch die Zeit wird fürs Bewältigen festgehalten, wenn leider nur übergreifend. Im Grunde genommen geht die Komplexität dieser Puzzle nicht über die diverser Smartphone-Apps heraus, lockert das Spielgeschehen aber gekonnt auf und sorgt für Spannung.
TECHNIKDie Lokalisation beschränkt sich genretypisch auf japanische Sprachausgabe und englische Texte. Anpassungen der Lautstärke müssen bei Spielbeginn gemacht werden, da die Musik in der Standardeinstellung die Effekte und Stimmen zum Teil übertönt. Jede Stimme kann zudem individuell angepasst werden. Auch Standards wie Textgeschwindigkeit und dessen Überspringen sind vorhanden. Das Speichersystem hat mir hingegen öfter Probleme bereitet. So blieb das Spiel, beim Versuch einen Quickload durchzuführen, gerne mal hängen - und ein Spielstand wurde komplett unbrauchbar, was mich um einige Stunden Spielzeit brachte, die ich nun wiederholen musste. Da ich beim Verfehlen eines Puzzleabschnittes ohne Umschweife im Titelbildschirm lande, ist das durchaus ein kleiner Downer.
Die Präsentation selbst ist solide. Schreibfehler haben sich kaum eingeschlichen, nur gelegentlich ist ein Textbox komplett blank, fällt aber für das übergreifende Verständnis nicht ins Gewicht. Musik, Vertonung und Charakterartwork sind gehobenes Mittelmaß - nur mit den Hintergründen gibt es ein Problem. Diese wackeln nämlich, sobald die erste Figur das aktuelle Bild betritt und hat man das das erste Mal bemerkt, fällt es ab dann immer wieder ins Auge. Ebenfalls etwas gewöhnungsbedürftig ist die Zeitreisemechanik. Hat man in einem Kapitel beispielsweise Schlüsselwörter übersehen, ist nicht klar, wie man diese im selben Lauf noch wiederholen kann, oder, anders herum, man muss bereits komplett abgeschlossene Abschnitte erneut absolvieren. Eine Kapitelauswahl als Belohnung hätte hier sicher etwas mehr Komfort geboten, auch wenn das wahre Ende selbst ohne alle Collectables erreicht werden kann. Die Wahl des Geschlechts zu Spielbeginn fällt zudem überhaupt nicht ins Gewicht.
FAZITHier wird eine Visual Novel mit einem gängigen Puzzlesystem erfolgreich kombiniert - selbst wenn die Zeitreisethematik etwas mehr Komfort hätte vertragen können. Die Puzzles sind zwar zu simpel um lange zu fesseln, fügen sich aber ins Drumherum ein. Allerdings: Die Bereitschaft, stöhnende Teenager bis auf die Unterwäsche auszuziehen - noch dazu als USK-12-Titel! -, ist und bleibt fragwürdig.